ENERGIE – Weniger Gas aus Russland, dafür mehr Flüssiggas aus den USA. Der Bezug von Energieträgern ist oft ein Spiegelbild geopolitischer Entwicklungen. Nicht nur auf globaler, sondern auch auf nationaler Ebene geniesst die Energiepolitik einen hohen Stellenwert. Über 700 eingereichte parlamentarische Geschäfte hatten 2024 einen Energiebezug.
Preiswerte Energie ist für die Wirtschaft essenziell, und die von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Im Strommarkt ist die Schweiz regulatorisch auf halbem Weg steckengeblieben. Nur Grossabnehmer können ihren Versorger frei wählen, während Kleinkunden – darunter viele Gewerbetreibende – auf die Einkaufspolitik lokaler Monopolisten angewiesen bleiben. Dies führt mitunter zu absurden Situationen: So zahlte eine Bäckerei in der bernischen Gemeinde Worb 2023 in der Grundversorgung rund 71 Rappen pro kWh, weil sie sich auf der von der lokalen Genossenschaft belieferten Strassenseite befand. Auf der anderen Strassenseite, wo die BKW den Strom bereitstellte, buk die Konkurrenz zu 26 Rappen pro KWh. Finanzieller Erfolg hat so weniger mit unternehmerischem Geschick zu tun als mit der Antwort auf die Frage, von welchem Monopolisten ein Gewerbetreibender beliefert wird. Für 2025 hat sich die besagte Preisdifferenz in Worb auf 6 Rappen verringert, beträgt aber immer noch rund 20 Prozent.
Immerhin könnte derartiger Unsinn bald Geschichte sein. Sollte die Schweiz das Stromabkommen mit der EU abschliessen, müsste sie den Strommarkt vollständig öffnen: Dann hätten alle die freie Wahlmöglichkeit.
Kein Mehrwert für Verbraucher
Doch vielleicht mag besagte Bäckerei gar nicht so lange zuwarten und nutzt Gas als alternativen Energieträger? Eigentlich ist der Gasmarkt in der Schweiz bereits vollkommen liberalisiert. In einem wegweisenden Urteil öffnete ihn die Weko im Jahr 2020 und verfügte eine allgemeine Durchleitungspflicht. Seither ist es theoretisch auch für Geringverbraucher möglich, den Versorger frei zu wählen. In der Praxis bestehen aber nach wie vor Hürden.
Nun will die Politik eingreifen: Das Gasversorgungsgesetz (GasVG) soll es regeln. Doch statt den Wettbewerb zu stärken, drehen die aktuellen Eckwerte der Vorlage das Rad der Zeit zurück: Neu sollen nur noch Bezüger mit einem Jahresverbrauch von über 300 MWh auf dem freien Markt einkaufen können. Dies schliesst 98 Prozent der Nutzer und 50 Prozent des Verbrauchs vom Markt aus. Ausserdem führt eine solche Marktzugangsgrenze zu einem erheblichen Regulierungsaufwand, bräuchte es doch neue Stellen für deren Überwachung beim Bund sowie in der Gaswirtschaft.
«Ein vollständig geöffneter Strom- und Gasmarkt mit schlanker Regulierung wäre die beste Lösung für die Schweiz.»
Solche Regulierung schafft für Verbraucher keinen Mehrwert – im Gegenteil, das Gas wird damit verteuert. Es scheint, als habe die Politik nichts aus der seit über 15 Jahren andauernden Zweiteilung des Strommarktes gelernt. Um es auf einen Nenner zu bringen: Ein offener Markt schützt die Verbraucher wesentlich besser als eine Regulierung.Die Eckwerte des angestrebten GasVG benötigen eine Revision, die Wahlmöglichkeit ist zu erhalten, der freie Markt ist zu stärken. Auch sollte das Gesetz die immer wichtiger werdenden klimaneutralen Gase wie Wasserstoff, Biogas oder synthetisches Methan umfassen. Durch die sogenannte Sektorkoppelung wachsen in Zukunft Gas- und Strommarkt zusammen: Im Sommer überschüssig produzierter Strom wird in Gas umgewandelt und damit lagerfähig gemacht. Im Winter kann ein Teil davon bei Bedarf in einem Gaskraftwerk klimaneutral verstromt werden.Ein vollständig geöffneter Strom- und Gasmarkt mit schlanker Regulierung und wirksamer Aufsicht wäre die beste Lösung für Industrie, Gewerbe und Haushalte in der Schweiz.
Patrick Dümmler, Ressortleiter sgv
Schweizerische Gewerbezeitung, 24.01.2025